„Frieden ist ein Prozess“

Katharina Gfeller im Gespräch mit Carlson Ngwa von der kamerunischen Partnerorganisation SwissLink und dem Koordinator Lumumba Mukong (Mitte) in Kamerun.

Interview: Miriam Glass, Mission 21

Es ist Krieg in Europa. Was löst das in Dir aus?

Es macht mir deutlich, dass Frieden nicht einfach gegeben ist. Ich sehe Frieden wie eine Pflanze, die man pflegen muss, damit sie wächst und gedeiht.

Mission 21 hat keine Projekte in der Ukraine. Hat dieser Krieg eine Auswirkung auf Deine Arbeit?
Ich sehe einige Bezüge zu meiner Arbeit: Bei Mission 21 ist die Friedensförderung ein wichtiger Wirkungsbereich. Was wir dabei tun, lässt sich in verschiedenen Konfliktsituationen anwenden. Bei Konflikten weltweit ist es zentral, dass wir keine Wertung vornehmen. Ich hoffe sehr, dass die Solidarität mit Menschen, die von Gewalt und Kriegen betroffen sind, anhält oder steigt, mit Blick auf die Ukraine und auf andere Regionen der Welt. Es geht bei der Hilfe für bestimmte Regionen nicht um ein «entweder-oder», sondern ein «sowohl als auch».

Wie sieht die Friedensförderung konkret aus?

Frieden besteht daraus, dass Beziehungen gewaltfrei gelebt, Konflikte gewaltfrei ausge- tragen werden. Darauf arbeitet Friedensförderung hin. Frieden bedeutet dabei mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist ein Prozess. Wie er sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab.

Welche Faktoren sind das?

Wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturell-religiöse, historische, politische und persön- liche Faktoren. Ohne Frieden ist Entwicklung kaum möglich. Umgekehrt ist Frieden ohne eine gewisse Stabilität kaum zu verwirklichen. Er hängt stark zusammen mit der Frage nach den Lebensgrundlagen – sind Ernährung, Bildung, Gesundheit gesichert? Ist die Umwelt intakt, kann man mitentscheiden? Fühlen sich die Menschen verstanden oder werden Gruppen ausgegrenzt? Wurden Wunden aus der Vergangenheit geheilt? Arbeit am Frieden ist ganzheitlich zu sehen. Wie sie konkret aussieht, ist je nach Konfliktgebiet verschieden.

Kannst Du ein Beispiel machen?

In Nigeria ist die Friedensförderung zur Zeit zentral. Dort gibt es Konflikte zwischen noma- disierenden und sesshaften Gruppen, die meist unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen angehören. Dazu kommt, dass Verbre- chen kaum geahndet werden. Viele junge Leute sind arbeitslos und haben kein Einkommen. Und so gibt es gewalttätige Zusammenstösse, Entführungen, Viehdiebstähle. Unsere Arbeit in dieser Situation: Wir bringen junge Menschen aus den verfeindeten Gemeinschaften zusam- men. Sie leben eine Weile miteinander, über- nachten auch am selben Ort.

Was passiert dabei?

Durch das Zusammensein merken sie, dass die jeweils anderen teilweise ganz ähnliche Wünsche und Ziele haben wie sie selbst: Am Ende wollen sich alle sicher fühlen, ein Einkommen erzielen, vielleicht eine Familie gründen. Gemeinsame Interessen kommen zum Vorschein. So können Vorurteile überwunden, manchmal auch traumatische Erfahrungen geheilt werden.

Das ist sicher hilfreich in kleinem Rahmen, auf individueller Ebene. Trägt es tatsächlich zur Veränderung der Situation bei?
Ja, davon gehen wir aus. Es gibt im Rahmen dieser Friedensförderungen auch Schulungen, wie man als Friedensstifter*in aktiv wird. Die Beteiligten analysieren ihren Kontext, um die Ursachen von Spannungen herauszuarbeiten. Sie überlegen gemeinsam, wo man den Hebel für Veränderungen ansetzen kann. Dann entwickeln sie Pläne, um ihre Ideen umzusetzen.

Wie zum Beispiel?

Zum Beispiel mit Projekten zur Einkommensförderung. Unsere Partner in Nigeria leiten Berufsbildungskurse für junge Leute, die unterschiedliche religiöse und kulturelle Hinter- gründe haben. Hier ist der Ansatz, dass wir nicht in erster Linie explizit Friedensförderung betreiben, sondern an der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation arbeiten und dabei die Gräben zwischen den religiösen und ethnischen Gemeinschaften überwinden. Denn das hat klar auch einen friedensfördernden Aspekt.

Was, wenn sich die Leute an der Basis verständigen, aber zugleich einflussreiche Personen, etwa Staatschefs, Konflikte weiter anheizen? Gewalt kann wie in einer Spirale immer weiter eskalieren. Wir arbeiten daran, dass die Eskalation im Alltag nicht immer weiter geht, indem wir mit den Menschen gewaltfreie Reaktionsmöglichkeiten erproben. Frieden und die Friedensförderung ist auch immer eine Frage der Haltung. Wo und wie verorte ich mich? Wie nehme ich andere Menschen wahr und wie sie mich? Wovon sind meine Bilder und meine Erfahrungen und diejenigen der «anderen» ge- prägt? Wie kommt es zu Stereotypisierungen oder auch blinden Flecken und wie erkennen wir diese? Aber da hört Friedensförderung nicht auf. Viele Partner von Mission 21, gerade Kirchen und kirchliche Dachorganisationen, haben Einflussmöglichkeiten auf nationaler und kontinentaler Ebene bis in die Schaltzentralen der Politik.

Wo ist das der Fall?

Zum Beispiel im Südsudan. Da sehen wir, dass Führungspersonen der Partnerkirche und des Kirchenbunds in den Friedensprozess sehr involviert sind und in politischen Fragen angehört werden.

Welche Rolle spielt die Nothilfe in der Friedensförderung?
Sie ist eines von vielen Elementen zur Unterstützung in Notsituationen. Was für alle unsere Projekte gilt, ist hier besonders wichtig: Wir müssen immer darauf achten, mit unserer Arbeit bestehende Spannungen abzubauen und nicht etwa zu verstärken. Nothilfe ist da sehr heikel: Es gibt einen grossen Bedarf, man kann nie alle erreichen. Die Auswahl der Begünstigten ist sehr konfliktanfällig. Da ist es sehr wichtig, dass wir und unsere Partner klare Kriterien haben, trans- parent sind und in Netzwerken arbeiten. Nothilfe ist bei uns immer interreligiös ausgerichtet und je nach Kontext auch ethnisch übergreifend.

Mission 21 ist eine glaubensbasierte Organisation. Welche Rolle spielen die Kirchen?
Durch die Verankerung in religiösen Gemeinschaften sind wir in ein globales Netzwerk eingebunden. Unsere Partner geniessen in der Bevölkerung hohes Vertrauen. Zugleich haben sie ein Netzwerk auf nationaler und internationaler Ebene. Wichtig ist, dass dieses über die eigene Religion und Kirche hinaus geht. Wir arbeiten zum Beispiel mit muslimischen und interreligiösen Partnerorganisationen zusammen.

Was ist die Rolle des Glaubens?

Glauben und Spiritualität geben eine zusätzliche Dimension, um in schwierigen Situationen Hoffnung zu schöpfen, aber auch Trauer zu verarbeiten. Das spielt in unserer Arbeit eine wichtige Rolle. In vielen unserer Partnerländer kann man die Menschen über Religion gut abholen. Kirchen oder Moscheen sind Orte der Gemein- schaft und des Teilens von Erfahrungen. Pfarrpersonen können Bezug nehmen zu Geschichten aus der Bibel, um aktuelle Ereignisse zu reflektieren. Das ist auch in Kontexten wichtig, in denen man sich nicht frei äussern kann. Ich denke da zum Beispiel an Hongkong. Da ist die Meinungsfreiheit so gut wie abgeschafft. Indem eine Pfarrperson für ihre Predigt eine gewisse Geschichte auswählt, kann sie eine Botschaft transportieren, die die Menschen ohne weitere Kommentare verstehen.

In der Friedensförderung gibt es immer wieder Rückschläge. Verlierst Du manchmal die Hoffnung oder die Geduld?
Nein, eigentlich nicht. Es gibt immer auch Ermutigung. Ich habe extreme Hochachtung vor den Menschen in unseren Partnerländern. Sie leben in konfliktgeprägten Kontexten, und sie wirken und arbeiten am Frieden, ohne die Hoffnung aufzugeben. Ich finde es ein Privileg, dass wir uns gegenseitig ermutigen können, dass wir Teil einer weltweiten Gemeinschaft sind und dass es eine Solidarität gibt, mit der wir uns gegenseitig stützen. Auch so können wir gemeinsam zum Frieden beitragen.

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