Überlegenheitsgefühl und Respekt

Mädchenanstalt Longheu: Mädchen beim Spielen. Quelle: Archiv der Basler Mission / A-30_03_007

„China is now really opened, was nicht so war, als Gützlaff schrieb: China opened.“ Diese Worte der Begeisterung sandte Missionar Philipp Winnes im Jahre 1858 seinen Vorgesetzten in Basel. Der Grund dieser Begeisterung lag in der Verabschiedung der Verträge von Tianjin. Endlich, so Winnes, war China „offen“, sollte nun unbeschränkte Missionstätigkeit in China erlaubt sein, unter dem militärischen Schutz kolonialer Armeen. Diese würden eingreifen, sollten Missionare von Banditen angegriffen oder von Beamten schikaniert werden. Philipp Winnes, der von 1852-65 als Missionar in China tätig war, äusserte sich erleichtert aufgrund eigener Erfahrung: nur wenige Jahre zuvor musste er die Hilfe britischer Soldaten beanspruchen, um in seinem Haus in Pukak, im südchinesischen Landesinnern, aus der Hand lokaler Banditen gerettet zu werden.

„Jahrhundert der Demütigung“

Die Verträge von Tianjin gehören zu den „ungleichen Verträgen“. Diese waren China im 19. Jahrhundert von den Kolonialmächten aufgezwungen worden. Noch heute gelten sie als Inbegriff der Demütigung Chinas während einer Zeit politischer Schwäche, als die Qing-Dynasty ihrem Ende entgegen ging. Einiges am derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Aufschwung Chinas ist angetrieben vom Wunsch, nie mehr von Kolonialmächten so erniedrigt zu werden, wie es im „Jahrhundert der Demütigung“ geschah. Heute jedoch ist die historische Erfahrung, dass China durch Kolonialmächte ausgebeutet wurde, zu einem festen Bestandteil politischer Rhetorik geworden. Es gehört zur ständigen Regierungspropaganda, das Christentum im Allgemeinen und ausländische Kirchen und Missionen im Speziellen als den Interessen der Nation entgegengesetzt darzustellen. Die Regierung nutzt die Vergangenheit gezielt, Christinnen und Christen unter Druck zu setzen und sie den Zielen der kommunistischen Führung anzupassen. In den Augen der Regierung ist die Sache klar: Religion steht nicht nur den Grundwerten einer sozialistischen Gesellschaft entgegen, sondern sie ist Teil eines kolonialen Angriffs auf China, wie die Missionsgeschichte zeigt.

Teil des kolonialen Expansionsprojekts?

Die Realität ist komplexer und lässt sich nicht so einfach in schwarz-weisse Denkmuster zwängen. Zwar haben alle Missionen, somit auch die Basler Mission, vom Kolonialgeschichte Überlegenheitsgefühl und Respekt Schutz durch Kolonialmächte profitiert – in China ebenso wie in anderen Teilen der Welt. Und alle Missionen standen in direktem Zusammenhang mit dem westlichen kolonialen Expansionsprojekt. Ein berühmtes Beispiel dieses Zusammenhanges ist der deutsche Lutheraner Karl F. A. Gützlaff (1803-51), der als unabhängiger Missionar im fernen Osten wirkte und der überhaupt der Grund dafür ist, dass Basler Missionare nach China entsandt wurden. Denn Gützlaff hatte dem Komitee wiederholt geschrieben und es dazu ermutigt. Er selbst war als Übersetzer angestellt auf einem Schiff, das Opiumhandel betrieb; daneben nutzte er die Abendstunden, um an Land evangelische Traktate zu verteilen. Doch es war derselbe Gützlaff, der sich früher als viele andere Missionare um echte Inkulturation kümmerte – also sich um das Einbringen christlicher Glaubensinhalte in die chinesische Kultur bemühte – und damit das zukünftige Vorgehen der Basler Mission prägte. Es war auch Gützlaff, der überzeugt war, dass die wirkliche Evangelisierung Chinas nicht durch Ausländer, sondern durch lokale Mitarbeitende zu geschehen hat. Entsprechend gründete er selbst eine Schule für einheimische Missionare.

Sozial progressiver Beginn – konservative Wende

Die Basler Missionare des 19. Jahrhunderts waren anfänglich geprägt vom sozial progressiven Geist Christian Gottlieb Blumhardts (1779-1838), der seit 1816 als erster Inspektor der Basler Mission wirkte. Blumhardt verstand, dass Mission auch die Wiedergutmachung von Ungerechtigkeit einschloss, und propagierte, wie andere Vertreter der Erweckungsbewegung, dezidiert die Abschaffung der Sklaverei. Doch mit dem dritten Inspektor der Basler Mission, Joseph Friedrich Josenhans (1812-84), begann ab 1850 ein konservativerer Geist zu dominieren: Gehorsam und Unterordnung wurden zu wichtigen Tugenden. Bei allem Respekt gegenüber den verschiedenen ethnischen Kulturen waren die Basler Missionare geprägt von einem kulturellen Überlegenheitsgefühl gegenüber China, das sie von führenden deutschen Philosophen geerbt hatten: Johann Gottfried Herder hatte die chinesische Zivilisation als kindlich, naiv und gefangen in einem leeren Zeremonialismus beschrieben. Der Idealist Georg W.F. Hegel sah China geprägt von einem despotischen System, wo nur der Herrscher frei sei. Die frühen Basler Missionare sahen ihre Aktivitäten deshalb – aus heutiger Sicht durchaus kulturell überheblich – als Teil eines sozialen Transformationsprozesses, der die Menschen in China aus spiritueller Gefangenschaft, Unwissen und Aberglauben befreien würde. Unterschiedliche Interessen Doch wir tun den Basler Missionaren in China unrecht, sie nur als Anhängsel der kolonialen Expansion und als in Überlegenheits-gefühlen gefangen zu verstehen. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Interessen der Kolonialwirtschaft mit jenen der Missionen oft kollidierten. An verschiedenen Orten Südasiens und Südostasiens befürchteten die britischen Kolonialisten, dass die Missionare den sozialen und damit den kolonialen Frieden gefährden könnten. Sie empfanden sie als störend und unterbanden gelegentlich gar missionarische Aktivitäten.

Arbeit bei der Volksgruppe der Hakka

Die Arbeit der Basler Mission richtete sich an die Hakka, eine chinesische Volksgruppe, die vor allem in den hügeligen Randgebieten der fruchtbaren Ebenen Südchinas siedelten und aus deren Reihen eine wichtige Revolutionsbewegung des 19. Jahrhunderts hervorging, die Taiping. Der erste Basler Missionar in China, Theodor Hamberg, hatte enge Beziehungen zu Führungskreisen der Taiping-Bewegung und er war beeindruckt von ihrem sozialen Projekt. In einem Bericht an Basel beschreibt er die Situation in der von den Taiping eingenommenen Hauptstadt Nanjing: „Alle in den Städten gewonnenen Schätze gehen zu der grossen Staatskasse, und aus dieser allgemeinen Kasse bekommt jeder seine Nahrung und Kleidung, aber keinen besonderen Lohn an Geld. Mehrere hundert Buchdrucker sollen beschäftigt sein, das Wort Gottes nebst anderen Traktaten zu drucken und der Taih phin wang [der Titel des Anführers Hong Xiuquan] soll selbst diese Arbeit beaufsichtigen.“ (Halbjahresbericht 1853 (Jan. 1854), A-1.2 Nr. 47, S. 1) Es zeigt sich, dass die Nähe zu einer benachteiligten Volksgruppe wie den Hakkas Missionare in ihren sozialen und politischen Visionen prägte. Ihre Präsenz im Hinterland Chinas, unter der verarmten Landbevölkerung, hatte implizit befreiende Wirkung. Medizin und Bildung kamen Menschen am gesellschaftlichen Rand zugute, die unter dem Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung litten. Und die Bildungsmöglichkeiten für einfache Bauern-mädchen legten den Grundstein für eine gerechtere Position der Frauen in der Gesellschaft. Als nach dem Sieg Maos das Leben für die Basler Missionare immer schwieriger wurde und sie schliesslich China verlassen mussten, fiel es vielen Einheimischen schwer, von den Missionaren Abschied zu nehmen. Sie hatten erlebt, dass diese fremdartigen Menschen, auch wenn von der siegreichen Partei als böse Kolonialisten verschrien, von einer tiefen Liebe für die Landbevölkerung getrieben wurden.

Text: Tobias Brandner, internationaler Mitarbeiter von Mission 21 in Hongkong und China

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